In einer komplexen und gleichermaßen unaufdringlichen Inszenierung porträtiert Ang Lee das Leben zweier Liebenden im Amerika der 60er und 70er Jahre.
Die Natur ist eigenwillig in den Bergen Wyomings. Mal scheint die Sonne, mal kommen golfballgroße Hagelkörner vom Himmel und überraschender Schnee kann grüne Weideflächen übernacht in puderzuckrige Eisflächen verwandeln. Amerika 1963: auf Brokeback Mountain sind die Saison-Arbeiter Ennis (Heath Ledger) und Jack (Jake Gyllenhaal) für eine riesige Schafherde verantwortlich. Die jungen Männer im Cowboyoutfit kennen sich kaum. Der zurückhaltende Ennis möchte an diesem Umstand auch nichts ändern, er hält den aufgeschlossenen Jack konsequent auf Distanz. Doch das archaische Leben in den Bergen schweißt zusammen und aus einer Männerfreundschaft wird eine Liebesbeziehung. Nach ihrem Aufenthalt auf dem Berg leben Ennis und Jack wieder ihren eigenen Alltag, der für beide Männer aus Ehe, Nachwuchs und unbefriedigenden Jobs besteht.
Nach der aufwändigen Comic-Verfilmung Hulk (2003) realisiert der Regisseur Ang Lee nun mit Brokeback Mountain ein ruhiges Liebesdrama. An Ennis, der zentralen Figur des Films, verdeutlicht Lee seine eigenständige Herangehensweise an das Thema hom*osexualität. Ennis beschreibt die Anziehung zwischen ihm und Jack als unkontrollierbare Kraft – „this thing, that graps hold of us“. Im Gegensatz zu Lees ersten großen Erfolg Das Hochzeitsbankett (The Wedding Banquet / Hsi yen, 1993) steht nicht das oft thematisierte Coming-Out im Mittelpunkt, auch verzichtet der Regisseur auf das Porträt einer Gay Community. Stattdessen entwickelt Lee die Charakterstudie eines Mannes, der in einem Klima von Intoleranz und gesellschaftlicher Ächtung die eigene hom*osexuelle Neigung als Fluch versteht. Dies führt sogar so weit, dass Ennis an einem Punkt nicht nur Verachtung für sich selbst, sondern auch für seinen Geliebten, Jack, empfindet, der im Gegensatz zu ihm die sexuelle Ausrichtung als Teil seiner Persönlichkeit annimmt.
Nachdem sich Heath Ledger zuletzt in Lasse Hallströms Casanova (2005) keinen großen schauspielerischen Herausforderungen stellen musste, hat er in Brokeback Mountain ohne Zweifel eine Sternstunde seiner Karriere. Im Gegensatz zu Gyllenhaal, wählt Ledger einen weniger expressiven Stil und verinnerlicht stattdessen die tragische Zerrissenheit der Figur in seiner Leinwandpräsenz. Lee weiß diese besondere Qualität Ledgers für das schlichte Drama zu nutzen, das somit bisweilen eine selten da gewesene Intensität erlangt. Durch die Unausgewogenheit der beiden unterschiedlichen, schauspielerischen Temperamente stellen sich jedoch auch die wenigen, schwächeren Momente des Films ein, gerade bei Szenen, in denen Jack und Ennis im Streit aneinander geraten.
Gezielt rekurriert Brokeback Mountain auf Motive des Western-Genres, die als Spiegel der Innenwelt von Ennis und Jack fungieren. So greift der Film in der ersten halben Stunde die Inszenierung der Natur auf, wie sie in Westernfilmen zu finden ist, die sich der Erschließung des „Weiten Landes“ widmen. In diesen Filmen rückt die Erhabenheit der Landschaft in den Mittelpunkt, die statt der Cowboys quasi als Hauptprotagonist in Erscheinung tritt. Lee verwischt in diesem Naturporträt mit idyllischen Gebirgsbächen und Cowboys, die im Sonnenuntergang reiten – eine Referenz auf eine von Marlboro-Werbespots geprägte Ikonografie – die feine Grenze zwischen Sublimation und Kitsch. So gelingt es dem Regisseur im Kontrast zu Jacks und Ennis’ eintönigem Leben nach ihrem gemeinsamen Aufenthalt in Wyomings Gebirgslandschaft, Brokeback Mountain als Metapher einer Idealvorstellung ihrer Liebe zu etablieren. Der titelgebende Berg stellt ihr ganz persönliches Arkadien dar. Ein Refugium zu dem sie im Verlauf von zwei Jahrzehnten sporadisch zurückkehren, um dort für kurze Zeit ihrem Alltag zu entkommen. Indem Jack seinem Geliebten eine Ansichtskarte des Berges zuschickt, materialisiert sich zudem diese Metapher ihrer Liebe als Postkartenerinnerung. Am Ende ist Jacks Hoffnung, irgendwann mit Ennis auf einer Ranch ein gemeinsames Leben zu führen, gleichermaßen in die Ferne gerückt, wie der abgebildete Berg des Kartenmotivs, das Ennis aufbewahrt hat.
Lee knüpft in einem bildgeschichtlichen Kontext die Westernmotive auch an die Auseinandersetzung mit dem Mythos des Westens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und koppelt diesen an seine Hauptfiguren. Galt die Zelebrierung der nordamerikanischen Landschaft in der Fotografie, etwa durch S/W-Arbeiten von Ansel Adams, bereits in den 60er Jahren, zur Zeit der Pop-Art, als längst überholt, dokumentierten am Ende der Dekade Künstler wie Stephen Shore – ein ehemaliges Mitglied von Andy Warhols Factory – die endgültige Auflösung des Westens in ihren Farbfotografien. Der am Fuße des Brokebacks gelegene heruntergekommene Ort, einer Saloonstadt gleichend, in dem sich Ennis und Jack aufhalten, scheint mit seinen zerfallenen Gebäuden Shores 1972 veröffentlichtem Band American Surfaces entsprungen zu sein. In Lees Film, wie auch in Shores Fotografien, hat sich die „Frontier“ nur noch in der unangetasteten Natur bewahrt.
Lees Verwendung einer Marlboro-Spot-Ikonografie schließt sich außerdem an eine Form der Mythenauseinandersetzung an, die als stilisiertes Werbebild in Erscheinung tritt. Wie Lee thematisierte bereits der Fotograf Richard Prince diese Form der Mythenverwaltung in dem er vorgefundene Marlboroplakatmotive abfotografierte. Dass Lee diese Ebene der Reflektion bewusst in seinen Film integriert, lässt sich etwa an Princes Arbeit Untitled (Cowboy) von 1989 zeigen. In einer Einstellung zitiert Lee die Fotografie, die 2005 bei Christies für eine Rekordsumme von 1,2 Millionen Dollar versteigert wurde.
Mit Brokeback Mountain ist es Ang Lee gelungen, Ennis’ und Jacks Beziehung und ihre Situation, zu Lebzeiten mit einem Cowboylebensstil Relikte einer vergangenen Epoche zu sein, in eine komplexe filmische Konstruktion einzubetten, die sich jenseits der bloßen Abbildhaftigkeit bewegt. Dieses Konzept macht den Film zu einer Kinoerzählung auf höchstem Niveau.