"Hillbilly Elegy" von J. D. Vance: Ein Buch macht Karriere (2024)

Wegen seines Memoirs "Hillbilly Elegy" wurde J. D. Vance zum angeblichen Trump-Erklärer. Nun kandidiert er als Trumps Vize. Dafür bietet das Buch auch keine Erklärung.

Von David Hugendick

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Als J. D. Vances Buch Hillbilly Elegy im Juni 2016 in denUSA erschien, war es nicht unbedingt ein Zufall, dass es bald zum Bestsellerwurde. Donald Trump war der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, undseine Umfragewerte waren überraschend gut. Medien in den USA suchten nachErklärungen dafür, dass sich einImmobilienunternehmer und Reality-TV-Darsteller wie Trump derart regerZustimmung erfreute unter den bis heute oft sogenannten abgehängtenBevölkerungsgruppen in den deindustrialisierten US-Bundesstaaten, also demRustbelt. Nach Trumps Wahlerfolg im November 2016 wuchs der Erklärungsbedarfnoch weiter. Reporterinnen und Reporter wurden scharenweise ausgesandt, um denTeil des eigenen Landes zu verstehen, den die sich als progressiv verstehendenMilieus der Küstengroßstädte womöglich einfach vergessen hatten.

Aus der Welt des sogenannten White Trash hatteVance in seinem Buch berichtet, eine auf schlichte Weise gut geschriebene,vielleicht hin und wieder schnulzige Bildungsautobiografie über einen Jungen,der es aus diesen unglücklichen, unbegüterten Verhältnissen bis zum Jurastudiumnach Yale geschafft hat. Hillbilly Elegy stieg rasch zu einer ArtSchlüsselroman auf all jener, die angesichts Trumps Wahl noch ohnmächtig nachVerständnis rangen. In Deutschland etwawar diese Art der Lektüre schon seit Didier Eribons autoethnografischem Buch Rückkehr nach Reims bereits bestens einstudiert. Um Frankreich zu verstehenund den Erfolg von Marine Le Pens rechtsextremer Partei in ländlichen Gebieten, glaubte man, es genüge, Eribon als umfassende Illustration der dortigen Seelen- und Affektlage zu lesen. Auch auf ostdeutscheVerhältnisse wurde diese Lektüre gelegentlich recht blindlings übertragen.

J. D. Vances Buch kam also, gemessen an außerliterarischenRelevanzkriterien des Marketings, zur rechten Zeit. Es beschrieb dieökonomische und mentale Armut in Ohio und Kentucky, wo man "das Ende der Weltaus der ersten Reihe" beobachten konnte. Beschrieb die wechselnden Liebhaberseiner emotional strukturschwachen, späterhin auch heroinsüchtigen Mutter unddie Liebe zu seiner Großmutter, einer Frau von robuster Vulgarität, zugleichvon großer Güte. Von seiner Zeit bei den Marines, von etlichen Umzügen, vomFremdheitsgefühl an der Elite-Universität und bald – hier winkt Eribon sehrheftig – gegenüber seiner Herkunft.

Im Vordergrund stand dabei Vances, natürlichunwahrscheinliche, Aufstiegserzählung, die man als Verwirklichung desamerikanischen Traums lesen konnte, zu der die Herkunftsdramen gewissermaßendie Fototapete bildeten. Die Männer waren hart und wussten, "dass man Biertrinkt und zurückbrüllt, wenn einen die Frau anschreit", es galten "Loyalität,Ehre und Zähigkeit", man liebte das Militär, man misstraute den Nachrichten,man misstraute der Politik, die Stahlwerke waren tot, die Autofabriken auch,man lebte in Wohnwagen von geliehenem Geld und hatte das Gefühl, "dass man übersein Leben gar nicht verfügt". Das echte Amerika lag siech danieder, die Hoffnungslosigkeit war das Zerfallsprodukt. Der "Zynismus der Menschen ging über diemateriellen Nöte hinaus; er hatte etwas beinahe Spirituelles, etwas, das vieltiefer reichte als eine normale Rezession".

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Die New York Times erhob Hillbilly Elegy zu einem der sechsBücher, die Trumps Wahlsieg erklären könnten. Gleichwohl hatte es damals schonwenig im politischen Sinn Handfestes zur aktuellen Lage beizutragen, weil esdas womöglich auch gar nicht wollte. Es war eher eine atmosphärischeMomentaufnahme, mit analytischen Spurenelementen von begrenztem, recht allgemeinem Erkenntnispotenzial: dass die modernen Konservativen (zu denenVance sich im Buch selbst zählt, ohne seine Überzeugungen näher zu erörtern)"die Herausforderungen ihrer größten Wählerschichten" nicht aufgriffen. Dasssie eine Art der "Unmündigkeit" schürten, "die den Ehrgeiz so vieler meinerZeitgenossen untergraben hat". Donald Trump, das sagte J. D. Vance inInterviews zu seinem Buch vor der Präsidentschaftswahl 2016, habe dasVersäumnis der alten Republikanischen Partei verstanden. Wählen, das sagteVance etwa in einem Radiogespräch mit dem Sender NPR, wolle er Trump abernicht.

Nun kann man einem Buch nicht unbedingt vorwerfen, Karriereaufgrund falscher Leseerwartungen gemacht zu haben. Der Aufklärungsbedarf warzu dieser Zeit eben groß, und er heftete sich an alles, von dem man sichErkenntnis versprach, selbst wenn es eine sentimentale Erzählung ausFly-Over-Country war und keine Tiefenbohrung ins Seelenleben der Trump-Wähler. Der Autor selbst war lange Zeit ein erbitterter Kritiker von Trump,heute ist Vance einer seiner größten Fans.

Ein Jahr nach Erscheinen seines Buches heuerte J. D. Vancein der Investmentfirma Revolution LLC an und war dort dafür zuständig,Tech-Risikokapital auch in den schwächeren Gegenden der USA zu verteilen, die sich weit weg vom Silicon Valley befinden. Hillbilly Elegy, so kann man esrückblickend betrachten, hatte ihn dafür als vermeintlichen Expertenqualifiziert. Und es schien ihn auch dafür zu qualifizieren, bald in diePolitik zu gehen. Im vergangenen Jahr wurde J. D. Vance zum US-Senator von Ohiogewählt, nun hat ihn Donald Trump zu seinem Kandidaten für das Amt desVizepräsidenten der Vereinigten Staaten gemacht.

Vermutlich wird das eine umfassende Relektüre von HillbillyElegy in Gang setzen, eine Suche nach Anzeichen und hermeneutischen Spuren für diesenSinneswandel. Sie wird, so viel sei verraten, auch diese neue Erklärungslückenicht füllen. Das Buch erzählt vor allem etwas über Vances unbedingtenAufstiegswillen, aber wenig über seine politischen Überzeugungen. DieRezeptionsgeschichte von Hillbilly Elegy wird dann vielleicht zur Geschichte einerdoppelten Überschätzung. Das bedeutet nicht, dass man J. D. Vanceunterschätzen sollte.

"Hillbilly Elegy" von J. D. Vance: Ein Buch macht Karriere (2024)

FAQs

Wer ist JD Vance? ›

James David „JD“ Vance (geboren am 2. August 1984 in Middletown, Ohio, als James Donald Bowman) ist ein US-amerikanischer Autor und Politiker der Republikanischen Partei.

Wo spielt Hillbilly Elegy? ›

Die Familiengeschichte beginnt im Nachkriegsamerika. Seine Großeltern zogen in den 1940er-Jahren aus Jackson in den Appalachen Kentuckys nach Ohio, um der Armut zu entkommen und dort in einer großen Stahlfabrik einige hundert Kilometer nördlich in Middletown ihr Glück zu machen.

Wie alt ist JD aus Scrubs? ›

J.D. wird demnächst 30 Jahre alt und er muss feststellen, dass er noch nichts seiner Vorhaben bisher geschafft hat. Für seinen Geburtstag nimmt er sich schließlich einen Triatlon vor.

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Author: Sen. Emmett Berge

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